- Sprache: Varietäten, Familien, Stämme
- Sprache: Varietäten, Familien, StämmeDie Sprache ist eine Eigentümlichkeit des Menschen. Ihre Bedeutung ist schon an dem zeitlichen Aufwand zu ermessen, die der Mensch ihr widmet. Seine Verständigung mit anderen, sein Handeln, Denken und Vorstellen ist von ihr durchdrungen und weithin so stark von ihr bestimmt, dass die Sprache als das eigentliche Medium von Kommunikation und Denken angesehen werden muss. Der Mensch spricht über die Dinge seiner Umgebung, über die kleinsten Partikel und die entferntesten Sterne, über Konkretes und Abstraktes, über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, er spricht über Tatsachen und schreibt Romane, und er spricht über sich und seine Sprache.Der Begriff Sprache hat eine stetige Ausdehnung erfahren. Das Wort Sprache kommt von sprechen und seine alte Bedeutung ist in Wörtern wie Ge-spräch oder An-sprache erhalten. Mit der Sprache Goethes sind die Eigentümlichkeiten seiner Sprache oder sein Stil gemeint, und ähnlich bezeichnet die Sprache der Politik oder der Jugend die sprachlichen Eigentümlichkeiten bestimmter Textsorten oder gesellschaftlicher Gruppen. In der Feststellung, die lateinische Sprache habe keine Artikel, bezeichnet das Wort Sprache den Aufbau, die Grammatik des Lateinischen. Wer den Menschen durch Sprache vor den Tieren auszeichnet, meint damit unser Vermögen, eine Sprache zu erwerben und zu sprechen. Die moderne Wissenschaft überträgt das Sprechen, Schreiben, Lesen und Verstehen auf Maschinen und erweitert auf ihre Weise den Begriff der Sprache.Sprachliche VarietätenWie jeder Sprecher einer Sprachgemeinschaft sich durch Stimme, Aussprache, Wortschatz und Stil von anderen Sprechern unterscheidet, also seine ganz persönliche Sprache, seinen Idiolekt, besitzt, so gibt es auch Eigenheiten im Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft, die für Sprecher aus bestimmten Regionen, für bestimmte soziale Gruppierungen und Gesprächssituationen typisch sind. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Ausprägungen von Sprache in einer einsprachigen Sprachgemeinschaft nennen wir sprachliche Varietäten.Soziolekte und FachsprachenAls Anhänger einer Sprachgemeinschaft sind wir in soziale Gruppen eingebunden, zum Beispiel in Familie, Ausbildungsgruppe, Freundeskreis oder Kollegium. Man gehört zu einer Altersgruppe oder einer Gesinnungsgruppe (zum Beispiel einer politischen Partei). Soziale Gruppen können oft einen bestimmten Wortschatz und andere sprachliche Eigenheiten ausbilden. Gruppensprachen, Soziolekte, grenzen die Gruppe nach außen hin ab, festigen den inneren Zusammenhalt und stärken die Gruppenidentität. So betonen Jugendliche mit einer ihnen eigentümlichen Sprache ihre Abgrenzung von der Erwachsenenwelt. Und selbst unter den Jugendlichen distanzieren sich einzelne Altersstufen sprachlich voneinander. Als soziale Wesen bewegen wir uns aber nicht nur in einer einzigen Gruppe, wir sind unter Umständen Familienmitglied, Kollege, Sportkamerad und Mitglied einer politischen Partei oder Organisation, wobei wir uns stets sprachlich an der Gruppe orientieren, innerhalb der wir gerade agieren.Unser Sprachverhalten wird auch davon abhängen, ob wir uns mit unserem Vorgesetzten in einer Besprechung befinden oder ob wir nach Feierabend noch mit einem Sportkameraden plaudern. Im ersten Fall wird zumeist die Hochsprache verwendet und eine förmliche Sprechweise gewählt. Unter Sportkameraden wird man sich dagegen eher umgangssprachlich — vielleicht sogar im Dialekt —, zwanglos und informell unterhalten.Nicht nur soziale Gruppen bringen ihre eigene Sprachform hervor, auch einzelne Sachbereiche, vor allem die wissenschaftlichen, handwerklich-technischen und juristisch-verwaltungstechnischen Bereiche sowie die sportlichen Disziplinen entwickeln besondere Fachsprachen, um die speziellen Sachverhalte präzise, eindeutig und sachgemäß zu benennen. Dabei kommt es vor, dass in unterschiedlichen Fachbereichen ein und derselbe sprachliche Ausdruck Verschiedenes bedeutet: So bezeichnet Hund in der Bergmannssprache einen »Karren zur Beförderung der Erze«, im Bereich der Verhüttung von Erzen dagegen einen »kleinen Ofen, der vor einem größeren steht«. Eine weitere nicht unbedeutende Rolle bei der Ausbildung fachsprachlicher Terminologien und gewisser grammatisch-stilistischer Eigentümlichkeiten kann die Abgrenzung gegenüber Laien spielen. Nur »Eingeweihte« können (und sollen) der fachlichen Diskussion folgen.Fachsprachen stehen stets in Wechselwirkung mit der Gemeinsprache. Fachsprachliche Termini können — oft auch in anderer Verwendung — in die Gemeinsprache eingehen. So stammt zum Beispiel der Begriff Brennpunkt aus der Optik. Umgekehrt ist es ebenfalls möglich, dass gemeinsprachliche Wörter in einem fachsprachlichen Zusammenhang eine ganz spezielle Bedeutung annehmen. So wird Krone in der Zahnmedizin als Kurzbezeichnung für Zahnkrone benutzt.DialekteSprache hat auch eine geographische Dimension. Wie wir alle in soziale Gruppen eingebunden sind, so sind die meisten von uns von der Sprache ihrer landschaftlichen Umgebung beeinflusst. Innerhalb des Gesamtgebietes einer Sprache bilden die Dialekte (Mundarten) vor allem durch Aussprache und Wortschatz deutlich abgesetzte Sonderformen, wie sie sich in verschiedenen Landschaften ausgeprägt haben. So wird zum Beispiel ein Kochtopf in Süddeutschland als Hafen bezeichnet, im mitteldeutschen Raum als Top(f) oder Düppen und in Norddeutschland als Pott. Dabei werden die landschaftlich geprägten Sprachformen im wissenschaftlichen Gebrauch eher Mundart genannt, wohingegen sich erstaunlicherweise als allgemeine Bezeichnung das Fremdwort Dialekt durchgesetzt hat.Die übliche Einteilung der deutschen Dialekte geht in ihrer Bezeichnung der Sprachräume auf die germanischen Stämme der Alemannen, Franken, Sachsen, Thüringer und Baiern zurück. Deren ursprüngliche Siedlungsgebiete glaubte man im 19. Jahrhundert in den Dialektgrenzen der Neuzeit gefunden zu haben. Tatsächlich haben auch geographische (Flüsse und Gebirge), ökonomische (Landwirtschaft, Industrie und Wirtschaft), kulturelle (Religion) und politische Faktoren (Verwaltung) zu der Ausbildung der deutschen Dialekte beigetragen.Vor allem im oberdeutschen Raum (Süddeutschland, Österreich und Schweiz) spielen die Dialekte noch eine größere Rolle im mündlichen Sprachgebrauch. In der Schweiz genießen sie zum Beispiel auch außerhalb des privaten Bereichs ein gewisses Ansehen. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass ein Professor an der Hochschule seine Vorlesung zwar in Hochdeutsch hält, sich aber danach mit seinen Studenten im Dialekt unterhält.Die ersten Arbeiten, die Sprache unter einem regionalen Aspekt behandelten, entstanden im 18. Jahrhundert zunächst hauptsächlich in Niederdeutschland, wo der Unterschied zwischen Dialekt und Hochsprache besonders groß war. Es entstanden Wörterbücher, Idiotika, die die landschaftlichen Eigenheiten und Besonderheiten aufzeichneten. Die eigentliche wissenschaftliche Beschäftigung mit den Dialekten begann im 19. Jahrhundert im Rahmen der Erforschung der Sprachgeschichte und historischen Grammatik des Deutschen. Die Sprachforscher erkannten die Dialekte als eigenständige Gebilde, die — im Gegensatz zur Hochsprache — das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung sind.Schon bald begnügte man sich nicht mehr mit der Beschreibung der Sprache eines Ortes, sondern man wollte die Unterschiede der Dialekte aufzeigen. Nach einigen kleineren Arbeiten, die Dialekte in ihrer geographischen Verteilung und Unterscheidung darstellten, begann der Germanist Georg Wenker Dialekte des gesamten deutschen Sprachgebiets zu kartographieren: So entstand der »Deutsche Sprachatlas«. Aber erst Wenkers Nachfolgern gelang es, zwischen 1926 und 1956 insgesamt 129 Karten zu veröffentlichen. Eine weit größere Zahl von Karten liegt allerdings nur handschriftlich vor. Zur Darstellung der unterschiedlichen dialektalen Erscheinungen und ihrer Verbreitungsgebiete auf Sprachkarten zeichnen die Dialektologen Linien, Isoglossen, ein. Beispielsweise veranschaulicht eine Isoglosse den Grenzverlauf zwischen den Verbreitungsgebieten von norddeutsch Pott und mitteldeutsch Topf. Einzelne Isoglossen bezeichnen jedoch noch keine dialektalen Grenzen. Je dichter allerdings sich die Isoglossen zwischen zwei Orten beziehungsweise Gebieten bündeln, desto einschneidender sind die dialektalen Unterschiede.Dialekte und Standardsprache sind gleichermaßen Varietäten einer Sprache. Das wird deutlich, wenn man nach der Entstehung von Standardsprachen fragt. Oft gehen nämlich Standardsprachen auf frühere Dialekte zurück, die ursprünglich gleichwertig neben anderen standen, dann aber aufgrund politischer oder kultureller Entwicklungen an Prestige gewannen und deshalb zu Hoch- beziehungsweise Standardsprachen erhoben wurden. So ist zum Beispiel die französische Standardsprache aus dem Dialekt der Ile de France hervorgegangen, die die politische Vorherrschaft über die anderen französischen Provinzen erlangt hatte. In altfranzösischer Zeit stand der Dialekt der Ile de France noch gleichberechtigt neben Pikardisch, Champagnisch, Normannisch und anderen französischen Dialekten.Etwas anders hat sich hingegen die deutsche Standardsprache entwickelt. Sie entstand durch Mischung und Ausgleich zwischen verschiedenen Dialekten. Wesentlich dazu beigetragen haben die Kanzleien des Kaisers und der Territorialfürsten sowie die Buchdruckerwerkstätten, die daran interessiert waren, dass ihre Produkte eine größere regionale Reichweite erlangten. Spätestens seit Kaiser Maximilian I. wird in der kaiserlichen Kanzlei bewusst Sprachpflege betrieben. Die Urkunden, die seine Kanzlei verlassen, sind in einer relativ einheitlichen Sprache abgefasst, unabhängig davon, ob sie in Innsbruck oder in den Niederlanden ausgestellt wurden. Die kaiserliche Kanzlei wirkte aber auch vorbildlich vor allem auf die süddeutschen Druckersprachen. Da die neu entstandene Einheitssprache keine natürlichen Sprecher hatte, diente sie zunächst als reine Schriftsprache und wurde erst später von einer gebildeten Oberschicht gesprochen. Sie hat sich dann hauptsächlich von den Städten aus über Verwaltung und Schulen verbreitet. In den letzten Jahrzehnten haben die Massenmedien Presse, Rundfunk und Fernsehen diese Wirkung nachhaltig verstärkt.Standardsprachen werden meist als Schulsprache, Verwaltungs- und Literatursprache, als Schriftsprache ganz allgemein sowie in offiziellen Situationen verwendet, wohingegen die meisten Sprecher im privaten Bereich Umgangssprache oder Dialekt bevorzugen. Liegt in einer Sprachgemeinschaft eine solche Situation vor, spricht man von Diglossie: Es sind zwei verschiedene Sprachvarietäten in Gebrauch, zwischen denen eine Funktionstrennung besteht. Die eine dient der privaten inoffiziellen Kommunikation und ist Umgangssprache oder Dialekt, die andere, mit höherem Prestige versehen, ist Schriftsprache, Bildungssprache und die Sprache für offizielle Anlässe.Ein interessanter Fall von Diglossie liegt in der arabischen Welt vor: Das Schriftarabisch als Sprache des Korans und zugleich als Symbol der arabischen Einheit ist für alle arabischen Staaten in offiziellen Situationen verbindlich, daneben verfügt aber jeder arabische Staat über seine eigene regionale Varietät, die in Alltagssituationen benutzt wird.Pidgin- und KreolsprachenPidgin- und Kreolsprachen entwickeln sich aus dem Zusammenleben von Sprechern verschiedener Sprachen. Ein Pidgin ist eine Mischung mehrerer Sprachen mit begrenztem Vokabular, vereinfachter Grammatik und eingeschränkter Funktion. Es wird ausschließlich als Zweitsprache benutzt. Die meisten Pidgins beruhen auf den europäischen Sprachen, die sich mit der Kolonisation über große Teile der Welt ausgebreitet hatten. Eines der bekannten Pidgins ist Chinook, das von Indianern im Nordwesten der USA gesprochen wird. Pidginsprachen überdauern oft nur um Weniges die Zeit der Kolonisation. Das Pidgin-Französisch in Vietnam überlebte die französische Besatzung ebenso wenig wie das Pidgin-Englisch die amerikanische. Unter gewissen Bedingungen aber entwickeln sich Pidgins zu Standard- und Muttersprachen und werden zu Kreolsprachen, wie das Pitcairn English. Die Kreolisation ist dabei stets von einer Erweiterung in Wortschatz, Grammatik und Funktion begleitet.Ideologische SpracheSprache wird nicht zur bloßen Mitteilung eingesetzt, sondern sie dient auch als Instrument der Macht und Herrschaft. Insbesondere bemühen sich die politischen Kräfte um Einfluss auf die öffentliche Sprache, also die Sprache, die in der Öffentlichkeit, bei Veranstaltungen, in Verlautbarungen und in den Massenmedien verwendet wird. Wer die öffentliche Sprache kontrolliert, kontrolliert zwar noch nicht die private Sprache, aber er hat gute Chancen, auch sie langfristig zu beeinflussen, und damit die Menschen, die sie sprechen.Besonders zielgerichtet und erfolgreich glauben totalitäre Systeme zu verfahren. Beispielsweise versuchten die Nationalsozialisten mit den Sprachregelungen des Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels (die später Tagesparolen des Reichs-Pressechefs genannt wurden), Einfluss auf die öffentliche Sprache zu nehmen. Diese Sprachregelungen schrieben vor, welche Begriffe zu verwenden und welche zu meiden waren. Dazu trug auch die Gleichschaltung der Presse bei. Die Terminologie der nationalsozialistischen Bewegung durchdrang schließlich alle Lebensbereiche.Sprachfamilien und SprachstämmeDie Zahl der gegenwärtig auf der Erde gesprochenen Sprachen beläuft sich auf etwa 4 000—5 000. Die Schätzungen gehen weit auseinander, weil zum einen erhebliche Schwierigkeiten darin bestehen, Sprachen als gesonderte Einheiten zu definieren und sie zum Beispiel von Dialekten abzugrenzen, zum andern weil wir sicherlich nicht alle existierenden Sprachen kennen. Darüber hinaus sterben gerade in der Gegenwart viele Sprachen aus, bevor sie von der Linguistik überhaupt dokumentiert und beschrieben werden können. Bekannte Sprachen versucht man jedoch, nach ihrer Herkunft in Sprachfamilien zusammenzufassen. Eine der am besten bekannten und erforschten ist die indoeuropäische Sprachfamilie.Die Entdeckung der indoeuropäischen SprachfamilieDas Wissen um die Ähnlichkeit vieler Sprachen Europas und Asiens ist nicht neu. Bereits die Römer hatten erkannt, dass Latein mit dem von ihnen sehr geschätzten Griechisch viele Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten aufweist. Die Herkunft der romanischen Sprachen vom Latein war nie umstritten. Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz bemerkte in den 1765 erschienenen »Noveaux essais sur l'entendement humain« (»Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand«) die Ähnlichkeiten der keltischen und germanischen Sprachen mit dem Lateinischen und Griechischen und vermutete, »dass dies von dem gemeinsamen Ursprung aller dieser Völker herkommt, die von den vom Schwarzen Meer hergekommenen Scythen abstammen«. In seinem berühmt gewordenen Vortrag vor der Royal Asiatic Society 1786 in Kalkutta ging der britische Kolonialbeamte Sir William Jones über Leibniz hinaus und sprach die Hypothese aus, Sanskrit, Persisch, Griechisch, Latein sowie die germanischen und keltischen Sprachen stammten alle von einer gemeinsamen Ursprache ab, die verloren sei. Diese vermutlich um das Schwarze Meer gesprochene Ursprache erhielt den Namen Protoindoeuropäisch (kurz PIE) oder Indogermanisch.Jones war ein sprachbegabter Laie. Später hat die Linguistik die Entsprechungen zwischen den Sprachen gesammelt und geordnet, und sie präzisierte die Prinzipien, die hinter den lautlichen Entsprechungen verwandter Sprachen steht. Anhand dieser Lautgesetze konnten die Abhängigkeiten der einzelnen Sprachen weitgehend erhellt werden. Mitte des vorigen Jahrhunderts wagte der deutsche Philologe August Schleicher auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse als Erster eine Rekonstruktion indoeuropäischer Wörter. Von ihm stammt auch die Stammbaumtheorie, der erste wissenschaftlich zu nennende Erklärungsversuch der verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen den indoeuropäischen Sprachen. Schleichers Einteilung ist als solche längst überholt, aber das Modell des Stammbaums hat sich bewährt: Die indoeuropäische Ursprache ist wie der Stamm eines Baumes, aus dem die einzelnen indoeuropäischen Sprachen wie Äste und Zweige hervorgehen. Allerdings erfasst das Modell des Stammbaums nicht die oft bedeutenden Einflüsse, die Sprachen auf andere ausgeübt haben.SprachfamilienDie Großfamilie der heutigen indoeuropäischen Sprachen ist weit verzweigt und reicht geographisch — wenn man von ihrer kolonialen Ausbreitung in den letzten Jahrhunderten über die ganze Welt absieht — von Spanien bis Indien. Das Deutsche gehört zum Zweig der westgermanischen Sprachen, zu denen zum Beispiel auch das Englische und das Friesische zählen. Schwedisch, Norwegisch, Dänisch und Isländisch bilden im Wesentlichen den nordgermanischen Zweig. Die Mutter aller germanischen Sprachen ist das Urgermanische.Latein war nur eine von mehreren italischen Sprachen. Es verdrängte — aufgrund politischer Entwicklungen — alle anderen Dialekte und Sprachen Italiens und verzweigte sich danach zu den romanisch genannten Sprachen; dazu gehören unter anderem Italienisch, Französisch, Spanisch, Katalanisch und Rumänisch. Von der Gruppe der hellenischen Dialekte oder Sprachen hat als einzige das Griechische überlebt. Das Keltische ist mit seinen »Töchtern« heute nur noch im äußersten Westen Europas zu finden: in Schottland, Irland, Wales und in der Bretagne. Albanisch und Armenisch sind eigene Zweige der indoeuropäischen Sprachfamilie. In Nordosteuropa bilden das Litauische und das Lettische die baltische Gruppe. Einen bedeutenden Zweig machen die slawischen Sprachen aus: mit Russisch, Tschechisch, Slowakisch, Slowenisch, Ukrainisch und Makedonisch sollen nur einige genannt sein. Und in Asien stellen nicht nur die »Töchter« des Sanskrit einen eigenen großen Zweig des Indoeuropäischen dar, sondern auch die iranischen Sprachen, zu denen beispielsweise das Persische zählt.Nach dem Vorbild der indoeuropäischen hat man weitere Sprachfamilien erschlossen. In Europa und Asien ergeben sich folgende Einteilungen: Finnisch, Estnisch, Ungarisch, Lappisch sowie die samoyedischen und ugrischen Sprachen Sibiriens bilden die uralische Familie. Die kaukasische Sprachfamilie zählt etwa 40 verschiedene Sprachen, hat aber nur fünf Millionen Sprechende. Im Kaukasus findet sich die höchste Konzentration von Sprachen überhaupt. Weitere Familien in Asien sind die paläosibirische, die altaische, die drawidische, die austroasiatische und die sinotibetische Sprachfamilie, wobei nicht überall die Verhältnisse so gut aufgeklärt sind wie im Falle der indoeuropäischen Sprachfamilie. Die zur indoeuropäischen und zur sinotibetischen Sprachfamilie gehörenden Sprachen werden von etwa 75 Prozent der Weltbevölkerung gesprochen.SprachstämmeWie Idiolekte zu Dialekten, Dialekte zu Sprachen und Sprachen zu Sprachfamilien zusammengefasst werden, so möchte man Sprachfamilien zu größeren Einheiten, zu Sprachstämmen, vereinigen. Die Aufklärung der verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen den Sprachfamilien könnte zu einem bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Struktur der Menschheit werden. Dem amerikanischen Linguisten Joseph Greenberg gelang im Jahre 1963 eine Zusammenfassung der nahezu 1500 Sprachen Afrikas in die vier Stämme der afroasiatischen Sprachen, der Khoisan-Sprachen, der nigerkordofanischen und der nilosaharanischen Sprachen. Greenberg hat weiterhin eine umfassende Klassifikation der amerikanischen Sprachen aufgestellt, die allerdings noch umstritten ist. Er teilt die Sprachen der Neuen Welt in den amerindischen Stamm, in den Stamm der Na-Dene-Sprachen und in den eskimo-aleutischen Stamm ein. Jeder dieser Stämme steht nach Greenberg einem Stamm Eurasiens näher als den jeweils anderen amerikanischen Sprachstämmen. Greenberg bestätigte damit die anthropologische These, nach der die Vorfahren der amerikanischen Urbevölkerung in mindestens drei unabhängigen Wellen über die Landbrücke eingewandert seien, die einst Sibirien mit Alaska verband.Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat der Däne Holger Pedersen die Verwandtschaft der indoeuropäischen Familie mit anderen Sprachfamilien vermutet. In den 1960er-Jahren unternahmen dann zwei sowjetische Linguisten den ernsthaften Versuch, Sprachfamilien miteinander zu vergleichen und ihre gemeinsamen Wurzeln zu erfassen. Sie führten schließlich sechs Sprachfamilien (Indoeuropäisch, Drawidisch, die Kartwelsprachen des Kaukasischen, die uralischen und die altaischen Sprachen sowie die afroasiatische Sprachfamilie) auf eine hypothetische Vorgängerin zurück, die sie nach dem lateinischen noster das Nostratische (»unsere Sprache«) nannten; immerhin dienen die Sprachfamilien dieses Stammes drei Vierteln der Weltbevölkerung zur Verständigung. Greenberg postuliert dagegen einen eurasiatischen Sprachstamm, der teilweise vom nostratischen abweicht, aber ebenfalls von der Verwandtschaft der europäischen und asiatischen Sprachfamilien ausgeht und wie der nostratische Sprachstamm die indoeuropäische, die uralische und die altaische Sprachfamilie umfasst.Darüber hinaus werden noch weitere Sprachstämme diskutiert. So hat man Ähnlichkeiten zwischen der Gruppe der Na-Dene-Sprachen Nordamerikas, der sinotibetischen Familie und einer Reihe von Sprachen des Kaukasus festgestellt und sie in einem denekaukasischen Sprachstamm, der wahrscheinlich älter ist als der nostratische beziehungsweise eurasiatische, zusammengefasst. Einige Sprachen wie zum Beispiel Baskisch, Etruskisch, Sumerisch sowie die Sprachen der Ainu in Japan lassen sich (noch) keiner Sprachfamilie zuordnen. Trotz dieser sprachlichen Einzelfälle und der noch andauernden Diskussion um die genaue Einteilung der Sprachstämme zeichnet sich in den beschriebenen Ergebnissen die Möglichkeit ab, fast alle bekannten Sprachen der Welt in größere, miteinander verwandte Gruppen zusammenzufassen.Hinter diesen Bemühungen steht die Frage, ob alle menschlichen Sprachen miteinander verwandt sind. Von der Aufstellung eines globalen Stammbaumes erhoffen sich auch die Anthropologen Einblicke in die Struktur und Entstehung der Menschheit. Die Aufstellung eines globalen Stammbaums könnte für die monogenetische Entstehung der Sprachen aus einer einzigen Ursprache sprechen. Das polygenetische oder multiregionale Modell geht dagegen von einer unabhängigen Entstehung der Sprachen an mehreren Orten aus. Beide Modelle ließen sich vielleicht verbinden, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Sprachen zwar mehrmals und an verschiedenen Orten entstanden sind, aber ein einziger Zweig alle anderen verdrängt hat.UniversalsprachenBesonders im Zeitalter des Tourismus und der weltweiten Kommunikation werden die Grenzen zwischen Sprachen oft als hinderlich und als anachronistisch empfunden. In der Gegenwart hat sich das Englisch-Amerikanische zu der wichtigsten überregionalen Verkehrssprache entwickelt. Aber auch Spanisch und Portugiesisch scheinen heute auf dem Weg zur Internationalität zu sein. Im Westen hatte früher das Latein diese Rolle übernommen, das später als vermittelnde Sprache der Wissenschaft diente. Der Mathematiker Giuseppe Peano schlug 1903 sogar ein vereinfachtes Latein, »latino sine flexione«, vor, in dem er einige Jahrgänge einer wissenschaftlichen Zeitschrift herausgab.Der als Jude zwischen Russland und Polen lebende Ludovic Lazarus Zamenhof entwickelte mit Esperanto eine Sprache, mit der er die Barrieren zwischen den Sprachen überwinden wollte. Esperanto, »der Hoffende«, war das Pseudonym, unter dem Zamenhof 1887 sein erstes Buch »Internacia Lingvo« schrieb. Die Welthilfssprache Esperanto ist eine künstliche Mischung natürlicher Sprachen. Sie soll wesentlich leichter zu lernen sein als andere Sprachen, hat eine einfache Lautstruktur und wird phonetisch geschrieben. Der Akzent liegt konstant auf der zweitletzten Silbe. Nach Schätzungen wird Esperanto heute von acht Millionen Menschen gesprochen, und in den wichtigsten Städten der Welt gibt es heute eine Universala Esperanto-Asocio mit Delegierten. Die esperantistische Presse zählt mehr als hundert Periodika. Inzwischen sind die wichtigsten Werke vieler Literaturen ins Esperanto übersetzt worden, von der Bibel bis zu Andersens Märchen, und es gibt literarische Originalproduktionen. Der britische Psychologe Charles Kay Ogden schlug hingegen 1930 in seinem Buch »Basic English« eine internationale Sprache vor, die den Wortschatz des Englischen auf 850 Wörter reduziert und die Grammatik des Englischen vereinfacht. Bis auf einen teilweisen Erfolg des Esperanto konnte sich allerdings bis heute keine dieser künstlichen Sprachen, deren Reihe sich hier noch fortsetzen ließe, im tatsächlichen Gebrauch durchsetzen und damit die Aufgabe einer für die internationale Verständigung dienlichen Universalsprache übernehmen.Prof. Dr. Volker BeehWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Sprache: Einige allgemeine EigenschaftenEco, Umberto: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. Aus dem Italienischen. Taschenbuchausgabe München 1997.Geschichte der deutschen Sprache, herausgegeben von Wilhelm Schmidt. Bearbeitet von Helmut Langner. Stuttgart u. a. 71996.König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. München 111996.Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Aus dem Französischen. Frankfurt am Main 91994.Lewandowski, Theodor: Linguistisches Wörterbuch. 3 Bände. Heidelberg u. a. 61994.Löffler, Heinrich: Germanistische Soziolinguistik. Berlin 21994.Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. Aus dem Englischen. München 81995.Lyons, John: Die Sprache. Aus dem Englischen. München 41992.Mattheier, Klaus J.: Pragmatik und Soziologie der Dialekte. Heidelberg 1980.Ruhlen, Merritt: A guide to the world_s languages, Band 1: Classifications. Neudruck Stanford, Calif., 1995.
Universal-Lexikon. 2012.